Die Merseburger Zaubersprüche
Die Merseburger Zaubersprüche gehören zu den ältesten überlieferten Volkssagen,
viele andere sind aufgrund der rein mündlichen Überlieferung und des
Nicht-Hineinpassens in die christliche Welt verloren gegangen. Ihren Namen
bekamen die Merseburger Zaubersprüche von dem Ort ihrer Entdeckung, der
Dombibliothek zu Merseburg.
Übertragung von Friedrich von der Leyen | |
Eiris sâzun idisi, sâzun hera duoder. | Einstmals setzten sich Idise, setzten sich hierhin, dorthin und dahin, |
suma hapt heptidun, suma heri lezidun, | manche Hafte hefteten, manche lähmten das Heer (der Feinde), |
suma clûbôdun, umbi cuoniouuidi: | manche klaubten um heilige Fesseln: |
insprinc haptbandun, invar vîgandun! | Entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden! |
Phol ende Uodan vuorun zi holza. | Vol und Wotan ritten durch den Wald. |
dû uuart demo Balderes volon sîn vuoz birenkit. | Da ward dem Fohlen Balders sein Fuß verrenkt. |
thû biguol en Sinthgunt, Sunna era suister; | Da besprach ihn Sinthgunt (und) Sonne, ihre Schwester. |
thû biguol en Frîia, Volla era suister; | Da besprach ihn Frija (und) Volla, ihre Schwester, |
thû biguol en Uodan, sô hê uuola conda; |
da besprach ihn Wotan, der es wohl konnte: |
sôse bênrenkî, sôse bluotrenkî, | Wie die Beinrenke, wie die Blutrenke, |
sôse lidirenkî: | wie die Gliedrenke: |
bên zi bêna, bluot zi bluoda, | Bein zu Bein, Blut zu Blut, |
lid zi geliden, sôse gelîmida sîn! | Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien! |
1. eiris - einst; idisi (Mehrzahl zu Idis) - Frau, Weib, Walküre; hera duoder = hera duo der - (vielleicht) hierhin, dorthin; suma (Mehrzahl zu sum) - einige; hapt heptidun - Haft hefteten (=banden Fesseln); heri - Heere; lezidun - hielten auf; clûbôdun - klaubten, zerpflückten; cuoniouuidi - Fessel; vîgandun - den Feinden | |
2. birenkit (von birenken) - verrenken; biguol (von bigalan) - besprechen, Zaubergesang, singen; Sinthgunt (zweiteilig, sinth + gund) - Weg, Fahrt + Kampf, Name einer Walküre; Sunna - Name einer Walküre; Frîia - mit Freyja gleichzusetzen, einer Wanin; Volla - "Die Fülle", Dienerin der Freyja; bênrenkî - Knochenverrenkung; bluotrenkî - Bluterguss; gelîmida - zusammenleimen |
Eine andere Übersetzung nach Bedo lautet
folgendermassen: |
Einst sassen Frauen, setzten sich hierhin, dorthin. Einige hefteten Fesseln, einige hielten das Heer auf, einige lösten ringsumher die Fesseln: Entspringe dem Fesselband, entfliehe den Feinden! Phol und Wodan |
Quelle: Altdeutsches Lesebuch